Das Leben im Rückwärtsgang

Zurückschauend auf die guten und besten Tage des Lebens, betrachte ich die Tanne, die auf dem Hinterhof vom Wind bewegt, jeden Ast schwingt. Manchmal denke ich, die Krone bricht gleich ab, aber sie hält.  Nicht gehalten hat meine Rippe, die brach. Ich bekam kaum Luft, mein Arzt kam und erhöhte die Morphium-Dosis am Gerät. Bald darauf ging es mir besser. Früher sagte ich immer leichtfertig:
»Schön ist, wenn der Schmerz nachlässt.«
Komisch, wie manche Dinge, die einem einst so beschwingt über die Lippen kamen, plötzlich einen anderen Geschmack bekommen oder einfach nur mehr Gewicht. Selbst zu sitzen fällt mir schwerer, aber ich bekomme bald einen Betttisch, dann kann ich liegend schreiben. Mein Brustkorb fühlt sich schwimmend an, als würden die Knochen sich in einer Tour bewegen, was unangenehm ist.

Trotz des Bruches wollte ich unbedingt den W-Lan-Router im Haus meiner Freundin anschließen. Nein, keine hundert Pferde hätten mich abhalten können. Zwei Etagen hoch. Ich habe sie geschafft und war stolz. Manchmal bin ich sogar stolz, wenn ich es nur schaffe, zu spülen oder Wäsche aufzuhängen. Das nennt man wohl: Kleine Brötchen backen. Zu irgendwas muss ich ja noch nützlich sein. Meine Freundin schaut mich immer empört an, wenn ich so etwas sage. Obgleich ich recht habe. Naja, jetzt grinse ich. Irgendwie befinde ich mich im Rückwärtsgang, auch wenn ich das nicht näher beschreiben kann, es gibt eben nicht für alles eine gute Erklärung oder ein tief greifendes Ende.

Ich dachte auch schon über einen weiteren Titel nach: Die Müdigkeit und der Wackelpudding. Beides könnte Symbol für mich sein, als würde ich mich bildlich darstellen wollen. Vielleicht will ich das sogar. Ich lächle in mich rein und versuche du zu sein, der oder die mich liest. Ist dir das auch schon Mal so gegangen? Hast du währenddessen geraucht oder etwas getrunken? Einen leichten Rotwein oder eher Kaffee? Ich trinke zurzeit viel Wasser, mische es mit Saft und verzichte auf Kohlensäure. Manchmal bekomme ich trotzdem Magenschmerzen. Da helfen die Pillen auch nicht.
»Die Säure«, mahne ich mich, weswegen ich auf Weintrauben und Mandarinen verzichte.

Die kleinen und großen Einschnitte im Geschmackserleben. Schmeckt alles bitter oder süß oder gar nicht, außer Grünkohl. Den hat heute meine Freundin gemacht. Sehr gut. Und sie sagte früher immer, sie könne nicht kochen.
»Ich habe nie für mich allein gekocht«, sagt sie, auch, wie immer, wenn sie mir zuhört, während ich ihr vorlese.
»Das werde ich vermissen«, flüstert sie.
»Was?«
»Dass du mir vorliest.«

Mir kreisen dann so Gedanken, wie »Noch bin ich da« durch den Kopf. Pläne habe ich, sehe mich an Orten ankommen und Abschiednehmen, während ich mich frage, wozu ich noch Fotos brauche. Gestern erst entschied ich, dass ich mir nichts mehr kaufen werde.
»Einen Pullover vielleicht oder Stiefel«, bemüht sich ein Gedanke, greifbar zu werden.

Bei meiner Gute-Nacht-Zigarette, gerade eben am Fenster, dachte ich:
»An Ecken gebrochen, aber das Zentrum ist stabil«, und keine zwei Züge weiter: »Noch«, wobei ich den Mond vergebens suchte.

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Beleidigungen, sprich Anfeindungen, werden nicht veröffentlicht und als Spamversuch gemeldet und in den dafür eingerichteten Ordner zur Kontrolle abgespeichert. Jeder Kommentar wird, vor Veröffentlichung, moderiert / geprüft.